AHMAD KADDOUR
AYA ONODERA
Galerie AC. Art & Dialogue präsentiert
In a Thin and
Deep Fog
Eröffnung am 17. Mai 2025, 18–21 Uhr
Ausstellungsdauer: 18. bis 1. Juni 2025
Öffnungszeiten: täglich 14–19 Uhr
Galerie AC.: Donaustraße 84, 12043 Berlin
Die Ausstellung beruht auf einem bewusst geführten Dialog zwischen zwei unterschiedlichen, aber miteinander in Resonanz stehenden künstlerischen Praktiken. Ahmad Kaddours brüchige, textbeladene Oberflächen – als Ausgrabungen vielschichtiger Geschichten und Körper – spiegeln sich in Aya Onoderas leichten, atemhaften Stoffen, die Leere in der Schwebe halten. Gemeinsam beharren sie auf dem Zwischenraum als Ort der Sinnstiftung. Kaddours Pigmente wirken wie archäologische Relikte; Onoderas Textilien erscheinen als lebendige Membranen, die Abwesenheit und Verwandlung materialisieren und eine gemeinsame Poetik der Durchlässigkeit schaffen. Die Themen von Entwurzelung und Verlust kreuzen sich mit Vorläufigkeit und Vergänglichkeit. Identitäten, Erinnerungen und Formen lösen sich auf und formen sich neu. In diesem „dünnen und tiefen Nebel“ artikulieren Risse und Atemzüge eine gemeinsame Reflexion darüber, wie wir die Vergangenheit mit uns tragen – und sie letztlich womöglich loslassen. Der Ausstellungstitel ist dem Werk In a Thin and Deep Fog von Aya Onodera entliehen.

Lyriklesung und Kunstaktion
SOLI CON IL MONDO
am 17. Mai 2025, 20 Uhr
In italienischer Sprache mit englischen Untertiteln
Kunstaktion
Ahmad Kaddour
Maler
Poesie und Stimme
Giuseppe Goffredo
Dichter und Schriftsteller
„Wandle also, und frage nicht nach dem Ziel, rufe kein Heilmittel für diesen Schmerz an! Auf dem Grund dieses endlosen Meeres sind viele gescheitert, und von ihnen hörte man nie wieder etwas.“ Die „Wanderer sind im Nichts verschwunden, indem sie sich in Weg verwandelten.“ Farī d Ad-Dīn ‘Attār, Die Sprache der Vögel
Allein mit der Welt ist die Begegnung zwischen der menschlichen Poesie von Giuseppe Goffredo und der künstlerischen Aktion von Ahmad Kaddour. Die Suche zwischen Stimme und malerischer Handlung erzählt von Menschen, die allein dem Krieg und dem Schiffbruch ausgeliefert sind. Männer, Frauen und Kinder, gezwungen, ihre Heimat zu verlassen auf der Suche nach Rettung. Versunken von der Menschheit in den Wassern des Mittelmeers.
Giuseppe Goffredo ist Dichter und Schriftsteller, geboren 1956 in Alberobello, Apulien. Er ist Leiter der Seminari di Marzo, einer Reihe von Dialogen zwischen dem Mittelmeerraum und Europa (1983–2025). 1995 gründete er den Verlag Poiesis Editrice (@poiesiseditrice), den er seither leitet – ein Verlag mit Schwerpunkt auf Literatur zwischen Europa und dem Mittelmeer. Ebenso gründete und leitet er die Zeitschrift Da qui – Literatur, Kunst und Gesellschaft zwischen den Kulturen des Mittelmeerraums.
Zu seinen Gedichtveröffentlichungen zählen Fra Muri e Sogni (Turin, Einaudi, 1982), Paesaggi di Maggio (Mailand, Mondadori, 1989), Elegie Empiriche (Guerini e Associati, Mailand, 1995), Alle Porte di Alessandria. Gedichte 1977–2000 (La Mongolfiera, 2003) und Contrade Madri di Aprile (Lieto Colle, Mailand, 2007). Bei Poiesis Editrice erschienen außerdem Canto e oblio (2010), Nessuna solitudine è più vera dell’azzurro dopo ogni spavento (2015–2016), Nelle voci del mare perdute (2019) sowie Cadere nutre la terra. Poesie 1976–2022 (veröffentlicht 2024). Im Bereich der Prosa veröffentlichte er Con i fiori dei mandorli in faccia (Roman, Palomar, Bari, 2006), Il Cielo Sopra Baghdad. Diario di un viaggio in Iraq (2006–2012), Verso il mare che tace (Roman, Poiesis, 2012), Lo sguardo del paesaggio. Un viaggio attraverso il paesaggio italiano (Poiesis, 2015) und È Alberobello, il patrimonio, la tutela, l’amor loci (Poiesis, 2022). Im Sachbuchbereich erschienen unter anderem Cadmos Cerca Europa – il Sud fra il Mediterraneo e l'Europa (Bollati Boringhieri Editore, Turin, 2000), I dolori della Pace. Crisi o scontro di civiltà nel Mediterraneo (Poiesis, 2009) und Soli con il mondo. La specie umana dentro la crisi di civiltà (Poiesis Editrice, 2020). Seine Werke wurden ins Deutsche, Französische, Englische, Arabische, Türkische und Kroatische übersetzt. 1987 wurde er mit dem Pier Paolo Pasolini-Preis ausgezeichnet.

WERK-TEXTE
Ahmad Kaddours Arbeiten wirken, als trügen sie die Sedimente der Geschichte in sich – Ablagerungen von Kulturen, die über Jahrhunderte hinweg einen Schichtungsraum der Wanderung, der Sprachen, Religionen und Politik sowie der Erfahrung von Vertreibung und Verlust gebildet und sich in Körper und Landschaft eingeschrieben haben. Ahmad Kaddour blickt unter die Haut der Geschichte, sowohl der großen als auch der individuellen Biografie.
Die Oberflächen seiner Werke sind rau, unregelmäßig, voller Brüche und Risse. Sie erscheinen durchleuchtet wie Röntgenaufnahmen, gleichen archäologischen Funden verwitterter Statuen, denen ihre schützende Hülle abhandenkam. Es sind Körper, die nun offenliegen, durchlässig sind für Sprache, für das, was sie geformt und geprägt hat. Diese Materialität spricht von Erosion – als Metapher für gesellschaftlichen und persönlichen Verlust, aber auch für Widerstandsfähigkeit.
Ahmad Kaddour stellt oft den menschlichen Körper ins Zentrum einer bild-poetischen Reflexion. Die fragmentierte Figur, überzogen mit Textstreifen, erzählt von Heimat, die entgleitet, von Selbstvergewisserung durch Sprache („Ich zähle meine Gliedmaßen und reiche nach meinen Fingerspitzen“ – ein intimer Akt des Sich-begreifen-Wollens). Zwischen Körper und Worten entsteht ein Raum, in dem Vergangenheit und Gegenwart ineinandergreifen. Es ist ein Körper im Zustand des Suchens, des Archivierens von Zugehörigkeit – ein Körper als Archiv.
Der Maler tritt als Bildsucher auf, der aus der Dunkelheit der Geschichte, aus dem Negativ der Welt, Bilder schöpft. Bei ihm verdichten sich Geschichte und Mythos, Schmerz und Hoffnung, Gegenwart und Erzählung. Es sind Bilder einer existenziellen Polyphonie, in denen persönliches und kollektives Gedächtnis, die Dringlichkeit der Kunst und die Frage nach innerer und äußerer Freiheit zusammenfallen.
Aya Onoderas Werk ist geprägt von einer tiefen Sensibilität für das Zwischen – das, was weder fest noch völlig flüchtig ist, das, was sich zwischen zwei Punkten, Zeiten, Erinnerungen oder Körpern entfalten kann. Es lebt von einem feinen Gleichgewicht aus Material, Leere, Farbe und Bewegung, von den naturgegebenen Prinzipien des Wachsens und Vergehens.
Ihre stille Installation: zwei Leinwände, verbunden durch einen zarten, gespannten Stoff, der wie Atem zwischen ihnen fließt. Die blassen Farbschlieren erinnern an Himmelsformationen. Ihre Arbeit spricht leise – von Nähe, von Intuition, von dem, was zwischen den Dingen liegt und der Liebe einzelner Menschen zueinander. Aya Onoderas Arbeiten tragen eine ästhetische und spirituelle Zurückhaltung in sich. Ihre reduzierten, leichten Materialien, die zarten Farbverläufe und die Betonung des Zwischenraums lassen sich als eine visuelle Form von Achtsamkeit lesen – als Aufmerksamkeit für das, was zwischen den Dingen, zwischen Präsenz und Abwesenheit, zwischen Stofflichkeit und Luft existiert.
In Onoderas Werken spielt die Leere eine zentrale Rolle: nicht als bloßes Nichts, sondern als offener, lebendiger Raum, der Veränderung, Bewegung und Transformation ermöglicht. Onoderas gespannter, fast schwebender Stoff verweist genau auf diese Qualität: Er ist nicht einfach nur ein verbindendes Element, sondern ein Bild für Durchlässigkeit, Vergänglichkeit, das Fließen des Atems. In Aya Onoderas Werk liegt die Schönheit im Leisen, im Flüchtigen, im Unvollständigen. Sie verweist auf eine Welt, in der nichts festgehalten werden kann und gerade darin eine stille Schönheit wohnt.
Amelie Conrad, Mai 2025